aus Verkehrsrecht Aktuell (VA) 2001, 10 ff.
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VA" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VA" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Berufungsverfahren
Das Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin ist nach
§ 329 Abs. 1 StPO entschuldigt, wenn dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens kein Vorwurf gemacht werden kann. Der Begriff der unentschuldigten Säumnis nach
§ 329 Abs. 1 StPO setzt auch eine Pflichtverletzung des Angeklagten in subjektiver Hinsicht voraus (OLG Hamm, Beschl. v. 5.9.00, 5 Ss 817/00, rkr., Abruf-Nr. 001319; und 8.8.00, 5 Ws 159/00 bzw. 5 Ss 789/00, rkr., Abruf-Nr. 001320).
Entscheidungsgründe
Der subjektive Vorwurf nach § 329 Abs. 1 StPO kann fehlen, wenn der Angeklagte zu Recht auf die entschuldigende Wirkung des Attestes vertraut hat. Insoweit sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn der Angeklagte ohne Schuldvorwurf angenommen hat, der Inhalt des Attestes reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen. Ihm kann auch nicht vorgeworfen werden, wenn das Attest eine Einschränkung ("zzt. nicht reisefähig") enthält, der Angeklagte selbst aber nicht absehen kann, wann diese Einschränkung nicht mehr gilt.
Praxishinweis
Die Verwerfung der Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten tritt in der Praxis häufig auf. Der Verteidiger muss, wenn sein Mandant in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist und das Gericht die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verwerfen will bzw. verworfen hat, Folgendes beachten:
Sind die Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil gegeben?
Voraussetzungen sind zunächst:
Das Gericht darf die Berufung nicht unmittelbar nach Beginn der Hauptverhandlung verwerfen, sondern muss damit eine angemessene Zeit (mindestens 10 bis 15 Minuten) warten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 329 Rn. 13 m.w.N.). Ist eine Verspätung angekündigt, muss das Gericht ggf. auch länger warten (OLG Hamm 16.5.97, NStZ-RR 97, 368; OLG Köln 2.9.97, NZV 97, 494).
Liegt eine ausreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen vor?
Entscheidend ist nicht, ob sich der Angeklagte genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (st. Rspr. der Obergerichte, u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.00, 5 Ws 159/00, bzw. 5 Ss 789/00, Abruf-Nr. 001320). Das Gericht trifft insoweit eine Aufklärungspflicht (BayObLG 20.10.97, NJW 98, 172; OLG Hamm 8.4.98, StraFo 98, 233; OLG Karlsruhe 25.6.98, StraFo 99, 25). Ist der Inhalt der Bescheinigung nicht eindeutig, muss sich das Gericht telefonisch bei dem ausstellenden Arzt erkundigen, ob der Angeklagte verhandlungsunfähig ist (so auch OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.00, aaO).
Maßgebend für eine ausreichende Entschuldigung ist, ob dem Angeklagten ein Vorwurf (auch subjektiv!) gemacht werden kann (st. Rspr., u.a. OLG Brandenburg 13.2.97, NJW 98, 842). Insoweit dürfen aber keine überspannten Anforderungen an den Angeklagten gestellt werden (dazu OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.00 und v. 5.9.00, aaO).
Als Entschuldigungsgründe sind in der Praxis anerkannt worden:
Hinweise: Es ist nicht erforderlich, dass der Angeklagte verhandlungsunfähig ist (OLG Karlsruhe 7.9.94, NJW 95, 2571; OLG Düsseldorf 29.12.99, StraFo 00, 126). Es reicht, dass er nicht reisefähig ist (OLG Düsseldorf 18.12.92, StV 94, 364).
Der Angeklagte muss seine Krankheit glaubhaft machen, und zwar in der Regel durch Vorlage eines ärztlichen Attestes. Allein aus dessen Nichtvorliegen ist aber nicht zu schließen, dass der geltend gemachte Entschuldigungsgrund nicht der Wahrheit entspricht (OLG Hamm 18.3.97, NStZ-RR 97, 240). Der Verteidiger sollte das Attest vor Einreichung bei Gericht prüfen: Es sollte einen Hinweis auf die Art und Schwere der Erkrankung enthalten und dem Gericht die erforderliche Überprüfung ermöglichen, ob der Arzt die Frage der Verhandlungs- und/oder Reisefähigkeit des Angeklagten zutreffend beantwortet hat.
Dem Verteidiger stehen sowohl der Wiedereinsetzungsantrag (§ 329 Abs. 3 StPO) als auch die Revision als Rechtsmittel zur Verfügung. Es empfiehlt sich, beide einzulegen. Wird Wiedereinsetzung gewährt, ist die Revision allerdings gegenstandslos. Bei der Begründung seiner Rechtsbehelfe muss der Verteidiger allerdings die unterschiedliche Angriffsrichtung seiner Rechtsmittel berücksichtigen:
Literaturhinweis: wegen weiterer Einzelheiten siehe Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 3. Aufl. 99, Rz 210 ff.
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